Noch-Parteichefin Sahra Wagenknecht (M.) mit der designierten neuen Spitze aus Amira Mohamed Ali und Fabio De Masi: Namen klandestin verhandelt
Foto: Michael Kappeler / picture allianceDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Nun zieht sich die Gründerin zurück, der Bundesparteitag am Wochenende in Magdeburg soll ihr Erbe sortieren: Die Führungsriege um Sahra Wagenknecht will ein neues Präsidium installieren, der Leitantrag die Programmatik des BSW festzurren. Wagenknecht selbst will sich mit einer Sonderrolle weiterhin Einfluss auf die Partei sichern – ohne für künftige Misserfolge geradestehen zu müssen. Ein neuer Parteiname soll den Neuanfang zusätzlich sichtbar machen. Was das Kürzel BSW künftig bedeuten soll, lesen Sie hier .
Doch so einfach dürfte es nicht werden. An der Basis überwiegt der Unmut; vor allem die Ostverbände sind enttäuscht vom autoritären Stil der Parteispitze. Mehrere Änderungsanträge stellen den Leitantrag infrage; mit Kampfkandidaturen liebäugeln einige Mitglieder mit den einflussreichen Präsidiumsposten. In Magdeburg drohen Konflikte aufzubrechen, die bisher im BSW unter Wagenknechts Führung nur sehr verhalten köchelten.
Unmut über das Postenvergabe
Für Unmut sorgt die Personalpolitik beim BSW. Statt Wagenknecht soll künftig der EU-Abgeordnete Fabio De Masi Parteichef werden, Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali will ihren Posten behalten. Zugleich soll die Riege der Stellvertretenden aufgebläht werden, Ex-Fußballmanager Oliver Ruhnert will Generalsekretär werden.
»Das Präsidium inthronisiert sich selbst«, heißt es giftig aus dem Umfeld des erweiterten Parteivorstands. Die Namen wurden nicht in großer Runde diskutiert, sondern klandestin verhandelt. Als sie bekannt wurden, empörten sich vor allem die Ostverbände: Die neue Führungsriege bestand mehrheitlich aus der alten, es sind ehemalige Linkenpolitiker aus dem Westen oder Unternehmer. Stimmen aus dem Osten, also dort, wo das BSW bisher einzig nennenswerte Erfolge erzielte, fehlen. Kurzfristig wurde Silke Heßberg, Landesschatzmeisterin des BSW Sachsen, nachgezogen, sie bewirbt sich um das Amt der Bundesschatzmeisterin. Magdeburg mal als Parteitagsort ein Symbol sein, mehr aber auch nicht.
»Mit einer Parteiführung allein aus Westdeutschen wird man im kommenden Jahr keine guten Karten haben. Da braucht es sehr, sehr viel mehr Ostdeutsche«, sagte zuletzt Brandenburgs Vizeministerpräsident Robert Crumbach der »Welt« . Er ist einer jener, die mit einer Kampfkandidatur liebäugeln. Die bisherigen Kandidaten, alles alte Wagenknecht-Getreue, würden personell »eine Linke 2.0« abbilden, unkt er.
Aufbegehren der Ostverbände
Anders als im Bund hat die Partei im Osten Macht, hier erfährt sie die meiste Zustimmung, hier sitzt das BSW in zwei Landesregierungen. Aber die Lage ist alles andere als entspannt. Bei der Bundestagswahl war die Partei in Ländern wie Brandenburg, Thüringen, aber auch Mecklenburg-Vorpommern zweistellig. Mittlerweile verliert die Partei an Zuspruch, liegt in Sachsen-Anhalt bei sechs Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern bei sieben.
In Brandenburg stand in den vergangenen Wochen die Koalition aus BSW und SPD kurz vor dem Scheitern. Der Grund, jedenfalls vordergründig: der Streit über die Medienstaatsverträge. Vier BSW-Abgeordnete verließen aus Protest die Partei, den vier Abtrünnigen wurde das Rederecht entzogen, diese wiederum sprachen von »autoritären Tendenzen«, von einem zu viel an Einflussnahme durch die Berliner Parteispitze. Auch Crumbach stellte sich gegen seine Fraktion: Er stimmte für die Medienstaatsverträge, anders als ein Großteil der Fraktion.
Besonders im Fokus steht der Landesverband Sachsen-Anhalt. Hier wird im nächsten Jahr ein neuer Landtag gewählt, die Partei hofft, das erste Mal einziehen zu können. Am vergangenen Wochenende eskalierte die Auseinandersetzung über die Zusammensetzung des Landesvorstandes. In einem Schreiben verlangten innerparteiliche Kritiker einen Kurswechsel von den Landesvorsitzenden John Lucas Dittrich und Thomas Schulze hin zu mehr »Transparenz, innerparteilicher Demokratie und ehrlicher Kommunikation«. Am Ende wurden die Kritiker aus dem Landesvorstand gewählt.
Im Kern ringt das BSW in den östlichen Bundesländern um die Frage: Was für eine Partei möchte das BSW sein? Möchte man regieren oder nur in der Opposition sein? Nur kritisieren? Oder geht man den pragmatischen Thüringer Weg, gestaltet mit? In Thüringen regiert das BSW mit der SPD und der CDU in einer Koalition – zum Missfallen der Parteigründerin. Wagenknecht betonte seit Februar regelmäßig, dass die Thüringer um Katja Wolf, Parteivorsitzende und stellvertretende Ministerpräsidentin, schuld an der Wahlniederlage des BSW seien. Sie wiederholt auch gern, dass das BSW nicht für eine »profillose Allparteienkoalition« zu haben sei. Also: keine Koalition bilden soll, nur damit die AfD verhindert werden kann.
»Was soll es anders als ein Rückzug sein«
Gerade weil sie im BSW die Richtung so klar vorgibt, verunsichert ihr Rückzug nun viele. Die Noch-Chefin beteuert zwar, ihrer Partei erhalten zu bleiben , und mag das Wort »Rückzug« nicht. »Aber was soll es anders als ein Rückzug sein, wenn man das Amt als Chefin aufgibt«, sagt eine ihrer Vertrauten dem SPIEGEL. Wagenknecht selbst hatte schon vor Monaten ihren Abschied mit sich ausgemacht. Versuche, sie zum Bleiben zu überreden, scheiterten, heißt es aus der Partei. Am Ende blieb der Kompromiss, als Leiterin der neu zu gründenden Grundwertekommission dem BSW erhalten zu bleiben.
Die Kommission soll ideell das Parteiprofil schärfen, Wagenknecht bleibt als Leiterin ans Präsidium angedockt. Es ist ein bequemer Posten, auch andere Parteien haben derartige Formate. Zuletzt war das BSW fast nur noch als Friedenspartei wahrgenommen worden, die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Partei spielt in der Wahrnehmung keine große Rolle. In ihrer neuen Rolle will Wagenknecht das sichtbarer machen, sagt sie. Mehr über den verklausulierten Rückzug lesen Sie hier .
Doch auch da sind sich die BSW-Mitglieder alles andere als einig. Manche fürchten, die Partei verkomme zu einer AfD 2.0, Quereinsteiger beim BSW haben vor allem dann eine Chance, wenn sie unternehmerischen Background mitbringen. Wagenknecht hatte ihr Projekt immer als »Alternative zur Alternative« beschrieben. Doch vor allem im Osten wünschen sich einige BSWler weniger Berührungsängste zu den Rechtsextremen, vor allem in der Migrations- und Wirtschaftspolitik. Wagenknecht forderte einst eine Vermögensteuer ab einer Million Euro, nun sollen laut Leitantrag Vermögen erst ab 25 Millionen Euro besteuert werden. »Das klingt mir alles zu sehr nach AfD«, heißt es von einer Person aus dem erweiterten Parteivorstand.
Im Schatten der Neuauszählung
Auch eine Aufarbeitung des Wahlkampfes blieb bisher aus. Die Parteispitze konzentriert alle Kraft auf die Kampagne zur Neuauszählung, hofft, im Rechtsstreit noch die fehlenden Stimmen zur Fünfprozenthürde zu erhalten. Aber warum war das Ergebnis überhaupt so knapp? Warum gab es nicht mehr Direktkandidatinnen und Direktkandidaten? Warum absolvierte Wagenknecht so wenige Auftritte? Wo blieb die Themenbreite im Wahlkampf? Gut möglich, dass Versäumnisse aus dem Januar und Februar nun in Magdeburg auf den Tisch kommen. Frei von Kritik wird sich das alte Präsidium auf jeden Fall nicht zur Wiederwahl stellen können.
Am Ende wird der Parteitag zeigen, ob sich das BSW zur »Linke 2.0« oder »AfD 2.0« entwickelt. Oder ob die Partei es gar schafft, zu beantworten, was ein BSW 1.0 sein könnte.

vor 2 Stunden
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