Österreich: Koalition der Reformangsthasen

vor 14 Stunden 1

Es ist frappierend, welche politischen Parallelen es zwischen Österreich und Deutschland gibt. Regierungsvertreter präsentierten in Wien und Berlin mit einem Tag Abstand in dieser Woche Maßnahmen zum Bürokratieabbau – in Österreich 113, in Deutschland 150. Schaut man sich den Katalog an, fallen sehr viele Ähnlichkeiten auf. Zu mehr Reformen können sich die Koalitionen in beiden Ländern derzeit offensichtlich nicht aufraffen. Gewiss, ein Problem da wie dort ist der Föderalismus mit all seinen Verästelungen. In Österreich führt das dazu, dass wegen der Geheimniskrämerei der Bundesländer nicht einmal der Bundesfinanzminister den gesamten Schuldenstand des Staates kennt – ein erstaunlicher Vorgang, über den sich kaum jemand aufzuregen scheint.

In Österreich ist diese Bundesregierung ohnehin mit weniger Esprit als jene in Deutschland angetreten und erweckte von Anfang an den Eindruck, dass man sich mehr im Verwalten denn im Gestalten verwirklichen wolle. Die Dreier-Koalition hat im Vergleich zu ihrem Pendant in Deutschland zumindest das geschafft: Es wird wenig öffentlich gestritten. In Deutschland wollte Friedrich Merz (CDU) alles besser machen als die Ampelregierung, er versprach wirtschaftlichen Aufschwung – entsprechend groß waren die Erwartungen.

Merz brach dann gleich sein zentrales Wahlversprechen: Die Schuldenbremse wurde zugunsten höherer Verteidigungsausgaben gelockert, zusätzlich gibt es ein Sondervermögen über 500 Milliarden für die marode Infrastruktur. In Österreich äußerten Wirtschaftsforscher die Hoffnung, dass die Verteilung dieser unvorstellbar riesigen Summe in Deutschland zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft beitragen würde. Wenige Monate später wird deutlich: Nicht nur der Elan in der Politik ist verpufft, auch der ökonomische Effekt ist ausgeblieben.

Was Österreich von Deutschland unterscheidet, ist die Lust, mit der Personalspekulationen zelebriert werden. Tagelang wird darüber diskutiert und geschrieben, ob tatsächlich der als Kanzler und SPÖ-Chef gescheiterte Christian Kern den aktuellen Vizekanzler Andreas Babler ablösen könnte. Angeblich sind acht der neun Landesverbände für ihn, nur die Wiener sollen sich zieren und einen eigenen Kandidaten favorisieren: den in den USA tätigen Medienmanager Gerhard Zeiler, der zuletzt mit einer fulminanten Rede aus Anlass des 100. Geburtstags des legendären ORF-Chefs Gerd Bacher Aufsehen erregte.

In der ÖVP wiederum bringt sich Ex-Kanzler Sebastian Kurz selbst gerne ins Spiel. Zuletzt hat er Journalisten von mehreren österreichischen Medien nach Israel eingeladen, damit sie sich ein Bild von seiner aktuellen Arbeit machen. Das müsste jemand, der sich angeblich auf seine Rolle als Unternehmer und Familienvater konzentrieren wollte, nicht machen, wenn er nicht weitere Ambitionen hegt. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) fühlte sich jedenfalls vor wenigen Tagen bemüßigt zu verkünden, er werde 2029 noch einmal antreten. Damit setzte er einen gewissen Überraschungseffekt. Dass darüber nicht breit diskutiert wurde, lässt darauf schließen, wie wenig ernst diese Ankündigung genommen wird.

In Berlin hat die Koalition am Freitag die Abstimmung über das Rentenpaket überstanden. Friedrich Merz bleibt zwar weiter Bundeskanzler, gilt jedoch als beschädigt. Diesseits und jenseits der Grenze haben die Regierungen, die erst seit wenigen Monaten im Amt sind, schon viel Vertrauen verspielt; die konservativen Kanzlerparteien plagen zudem massive interne Probleme. Um Handlungsfähigkeit zu zeigen, sind mehr Reformen nötig, als Absichtserklärungen zum Bürokratieabbau aufzulisten. So wirkt die Angst vor der FPÖ und der AfD, die in Umfragen steigen und steigen, wie ein Kitt, der die Koalitionen der Reformangsthasen zusammenhält.

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