Wenn große Auktionshäuser Handschriften berühmter Künstler anbieten, ist das Interesse meist gewaltig. Stiftungen und Museen konkurrieren dann mit privaten Sammlern. Unterliegen sie, verschwinden die kostbaren Stücke oft auf unabsehbare Zeit in den Tresoren reicher Auktionäre. So konnte die Klassik Stiftung Weimar bei einer Versteigerung in Hamburg Ende November zwar einige der angebotenen Goethe-Handschriften in ihren Besitz bringen. Auf zwei besonders bedeutsame Briefe an Wilhelm und Alexander von Humboldt musste sie aber verzichten, weil der aufgerufene Preis von 90.000 Euro ihr Budget überstieg.
Gerade so erging es der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde und der Internationalen Stiftung Mozarteum in den letzten fünfzig Jahren bei Auktionen immer wieder – und zwar besonders dann, wenn Hans Joachim Eggers gegen sie bot. Diesem leidenschaftlichen Musikfreund und Autographensammler, der von Beruf eigentlich Virologe und Professor war, gelang es tatsächlich, innerhalb von dreißig Jahren die größte private Mozart-Sammlung anzulegen, die nach dem Krieg in Deutschland oder Österreich entstanden ist.
Eine Sammlung von kulturhistorischem Wert sondergleichen
Eggers starb 2016, und es wäre für seine Erben so leicht wie lukrativ gewesen, seine wertvolle Kollektion – sie umfasst neben acht Briefen und Dokumenten auch vier Musikhandschriften, darunter die einzige Abschrift des Vaters von Wolfgangs „Miserere“, KV 85 – auf dem internationalen Kunstmarkt zu verkaufen. Werden dort Autographe von Mozart gehandelt, was nicht häufiger als etwa einmal jährlich vorkommt, so erzielen sie rund 100.000 Euro pro Blatt, mitunter auch erheblich mehr. Doch zwei von Eggers’ Kindern setzten sich zäh dafür ein, den testamentarisch nicht einmal verfügten Wunsch ihres Vaters zu erfüllen und die Sammlung geschlossen ans Mozarteum zu übergeben, „größtenteils als Schenkung“, wie der Pressetext diskret mitteilt.
Wäre leicht und lukrativ zu verkaufen gewesen: die einzige Abschrift des Vaters von Wolfgangs „Miserere“, KV 85Bibliotheca Mozartiana Internationale Stiftung MozarteumDiese wahrhaft noble Tat der beiden Erben ist ein unerhörter Glücksfall für die Stiftung, deren Aufgabe es ja ist, solche Handschriften zu sammeln, zu erforschen und zu bewahren. Etwa die Hälfte aller derzeit bekannten Briefe und Aufzeichnungen der Familie Mozart konnte in der beinahe hundertfünfzigjährigen Geschichte der Salzburger Forschungseinrichtung zusammengetragen und erschlossen werden, wobei der Großteil dieser etwa 700 Dokumente eigenhändige Schriftstücke von Wolfgang Amadé und seinem Vater Leopold sind. Aber auch Briefe Constanze Mozarts und der beiden Söhne Carl Thomas und Franz Xaver gehören dazu, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts reichen. Kurzum: eine Sammlung von kulturhistorischem Wert sondergleichen, zugänglich gemacht in einer 2006 abgeschlossenen achtbändigen Ausgabe der „Briefe und Aufzeichnungen“.
Aus ihm hätte auch der „ruchloseste Bösewicht“ werden können
Abgesehen von einer wohl nicht allzu bedeutsamen Ausnahme – es ist die Einladung zur Mitgliedschaft in einem Männerbund, die Mozarts Schwester 1799 einem Schreiben an den Leipziger Verleger Breitkopf beilegte –, finden sich in dieser Ausgabe alle Dokumente aus Hans Joachim Eggers’ Sammlung, die jetzt in der Ausstellung „Prachtvolle Premiere“ in Mozarts Wohnhaus besichtigt werden können. Knappe Erläuterungen zu den Exponaten informieren in mild beleuchteten Vitrinen über den Inhalt der gezeigten Originale. Wer sie lesen möchte, braucht indes ein gutes und geschultes Auge: Mozarts Handschrift (deutsche Kurrentschrift, zuweilen durchsetzt mit lateinischen Buchstaben) ist klein und oft flüchtig, seine Orthographie selbst für damalige Verhältnisse unorthodox. Gut, dass – wenn schon nicht in der Ausstellung selbst, so wenigstens online – Transkripte verfügbar sind, umreißen die Briefe doch auf faszinierende Weise Mozarts schillerndes Wesen.
„Sonderbare Merkwürdigkeiten“ aus dem Leben des Wunderkindes schildert Johann Andreas Schachtner, ein enger Freund der Familie, in einem Schreiben von 1792. Dass „Wolfgangerl“, vier- oder fünfjährig, bei einem Triospiel partout die zweite Geige spielen wollte (und dann tatsächlich auch spielen konnte!), obwohl er darin nie unterrichtet worden war, dass sich ein „Geschmire von Noten“ zuletzt als ein „richtig und regelmässig“ gesetztes Konzert erwies oder dass der Knabe bei weniger guter Erziehung auch der „ruchloseste Bösewicht hätte werden können“, das sind Anekdoten und Einschätzungen, die spätere Biographen immer wieder referierten.
Witz, Verzweiflung, Zärtlichkeit und Sehnsucht
Das künstlerische Selbstbewusstsein des Komponisten blitzt dann 1784 in einem Brief an den Vater auf, dem er versichert, dass in den zeitgenössischen Opern „kein einziger gedanke einem von den meinen ähnlich sey“. Aber auch die Freuden und Kümmernisse des alltäglichen Lebens sind Themen der ausgestellten Briefe. Sie zeigen, dass Mozart über ein erstaunlich breites Register sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten verfügte und seinen Stil auf den jeweiligen Empfänger abstimmte. Verzweiflung klingt an, wenn er die „Hochschätzbarste Fr. Baronin“ von Waldstätten „ums Himmelswillen“ anfleht, ihm mit Geld aus der Bredouille zu helfen, um „Ehre und guten Namen nicht zu verlieren!“ Bemerkenswert zurückhaltend, verräterisch beiläufig („ich weis nicht habe ich schon von seiner Tochter geschrieben oder nicht“) kommt er dem skeptischen „très cher Pére“ gegenüber auf Aloisia Weber, seine große Jugendliebe, zu sprechen.
Deren Schwester Constanze wird später als seine Ehefrau einer seiner wichtigsten Briefpartner werden. Nach ihr sehnt er sich, wenn er auf Reisen ist und das Bedürfnis, sie „wieder zu sehen“, mit dem Wunsch, „viel geld nach Hause zu bringen“, in Zwietracht gerät. Um Constanzes Wohlergehen ist er zärtlich besorgt und bestellt, muss sie wieder einmal auf Kur, passende Zimmer bei seinem Freund Stoll in Baden („Liebster Stoll! seyens kein Schroll!“), dem er im Postskriptum versichert: „das ist der dumste Brief den ich in meinem leben geschrieben habe; aber für Sie ist er Just recht“.
Witz, Verzweiflung, Zärtlichkeit und Sehnsucht sprechen aus Mozarts Briefen geradeso wie aus seiner Musik, und die kleine Salzburger Ausstellung macht so recht Lust, sich einmal wieder gründlich mit Kopfschütteln und Rührung, mit Lächeln und Beklommenheit zu vertiefen in dieses Leben, in dieses Werk.

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