Hans Traxler neuer Streich: Der Zeichner hat sich nie geziert, es läuft noch immer wie geschmiert

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Für mehr als siebzig Jahre Zeichnerzeit sind 350 Seiten gar nicht mal viel, aber hier sind ja auch gleich vier kritische Augen über ein Lebenswerk gegangen. Einmal die von Hans Traxler selbst. Der wurde 1929 in Herrlich geboren (wo sonst?), einem böhmischen Dorf, wie es im Sprichwort steht, und mit seiner Familie nach 1945 vertrieben. So kam er über Umwege nach Frankfurt, wo er Satiregeschichte schrieb: erst mit seinem gemeinsam mit Peter von Tresckow verfassten Buch „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“, dann als Mitarbeiter von „Pardon“ und schließlich als einer der Gründer von „Titanic“. Traxler war und ist der Senior der Neuen Frankfurter Schule.

Das zweite Augenpaar gehört einem Bewunderer und kongenialen Zeichner: Nikolaus Heidelbach. Mehr als ein Vierteljahrhundert jünger als Traxler, aber auch Schöpfer eines Riesenwerks in unverkennbarem Stil, hat er die Herausgeberrolle bei diesem Buch übernommen und streng ausgewählt. Denn Traxler hat viel mehr Bildergedichte gemacht, als hier aufgenommen wurden. Der Band ist konzipiert als Gegenstück zum vor mittlerweile sechzehn Jahren erschienenen Sammelband „Cartoons“ von Traxler. Damals war Reclam der Verlag, nun ist es Insel, aber die beiden Bücher stehen nebeneinander wie eineiige Zwillinge. Selbst der gelbe Grundton der Titelzeichnung ist der gleiche. Und diese helle Stimmung ist ein Markenzeichen von Traxlers Zeichnungen, auch wenn sie manchmal denkbar dunkle Momente aufweisen.

 oft im Paradies, aber immer herausgefordert. Noch aber ist’s still; das wird nicht lange so bleiben ...Der Zeichner, wie er sich selbst sieht: oft im Paradies, aber immer herausgefordert. Noch aber ist’s still; das wird nicht lange so bleiben ...Hans Traxler

Nehmen wir doch gleich das Bildergedicht, aus dem der gut behütete, weil gelb behütete Herr im Bademantel stammt. Es heißt „Süden“ und erschien vor Jahr und Tag (genau gesprochen: 2013) als eigenständiges Büchlein. Es geht zurück auf Erlebnisse und vor allem Lärmbelästigungen, mit denen Hans Traxler an der Côte d’Azur im Ferienhaus von Freunden konfrontiert wurde, und diesem großen Chronisten unserer Gegenwart geht das Reimen der Bildzeilen ebenso leicht von der Hand wie das Zeichnen. „Meersstille, Mittagshitze“, so hebt die Sache an, „Kühle Schatten, wo ich sitze / Wo ich auf die Klippen starre / Voll im Jetzt und Hier verharre“. Und das Ganze leitet über zur nächtlichen Ruhestörung, die – ich greife mitten rein – etwa so evoziert wird: „Ach, ich ahn’ es: Diese Rocker / lassen nie vor ein Uhr locker! / Keine Zeichen des Ermüdens / Das ist das Kreuz des Südens“. Und zum letzten dieser Verse sieht man den armen Hans wieder auf der Terrasse vor dem Meer, nur diesmal unter Sternen, die von einem Klangband durchdrungen werden, auf dem es „OM-BA OM-BA OM-BA“ heißt.

Da ist etwas im Busch mit Wilhelm Busch bei Traxler

Bei der Lektüre der Reime fällt natürlich sofort Wilhelm Busch ein, und das ist in der Tat das große Vorbild Hans Traxlers. Aber dem (Busch) wäre nie eine Onomatopöie (sprich: Lautmalerei) in seine Bilder gekommen. Traxler indes zeichnet mit der Kenntnis von seit „Max und Moritz“ um 160 Jahre fortgeschrittener Zeichengeschichte, und seine Leidenschaft für Comics ist genauso groß wie die für Cartoons. Deshalb ist es nur konsequent, dass es nunmehr für beides dicke Sammelbände gibt.

Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausDie Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Gleichzeitig heißt der neue Band eben doch nicht „Comics“, sondern nach dem, was Busch bereits in Perfektion begründet hat, „Bildergedichte“. So sind denn auch die Traxler’schen Bilderbücher hier außen vor, obwohl auch sie ja eine Riesenerfolgsgeschichte darstellen – von „Fünf Hunde erben eine Million“ über „Paula, die Leuchtgans“ bis zu „Die grünen Stiefel“ (und man könnte leicht ein Dutzend mehr nennen). Aber darin wird eben nicht gereimt.

Ein Reizthema von besonderem Bildreiz

Wobei es das in einigen Traxler-Bilderbüchern auch gab, etwa in „Die Reise nach Jerusalem“, das sich einem Lieblingsfeind- und damit auch besonderem Reizbild für Bildergedichte widmet: den Religionen im Allgemeinen und der Geschichte des Papsttums im Speziellen. Guten Gewissens hätte der neue Auswahlband auch „Von Gott und der Unterwelt“ oder so ähnlich heißen können, derart oft legt sich Traxler mit dem guten Glauben an, den er mit Lust als bösen entlarvt. Dass diese Bildergedichte nicht gebündelt sind, sondern sich über den ganzen Band verteilen, macht die Attraktivität des Themas für Autor und Publikum nur noch deutlicher.

Das Cover zu Hans Traxlers Band „Bildergedichten“Das Cover zu Hans Traxlers Band „Bildergedichten“Hans Traxler

Die ältesten ausgewählten Bildergedichte gehen auf die Achtzigerjahre zurück, und das jüngste, „Die Dünen der Dänen“, zugleich eines der besten, ist gerade einmal zwei oder drei Jahre alt. Man konnte es bereits in einer Ausstellung des Frankfurter Caricatura-Museums bewundern, aber da man es immer wieder lesen und betrachten will, ist die Aufnahme dieses Meisterstücks ins Buch allein schon den Kaufbetrag von 36 Euro wert.

Es ist in seiner Frech- und Wortverspieltheit gespeist aus dem Humor- und Nonsensverständnis der Neuen Frankfurter Schule – darauf wären auch Robert Gernhardt und Pit Knorr stolz gewesen. Und zugleich nutzt Traxler den Anlass (FKK-Begeisterung der Dänen) zu einer frivolen Bilderfolge, die bei ihm durch die frohen Farben und cartoonesken Formen aber nie etwas Anzügliches hat, obwohl so manches Mal im Buch auch derbe Sexualität dargestellt wird. Aber Traxler ist das ebenso wenig verübelt worden wie seine politischen Kommentare, obwohl er aus seinem Herzen keine Mördergrube macht und manchem Protagonisten unserer Gesellschaft übel mitspielt, indem er ihn als Üblen in den Bildergedichten mitspielen lässt. Darauf kann etwa Papst Benedikt XVI. ein Benedictus singen.

Doch wer könnte an der Schönheit dieser Buntstift- oder Rötelzeichnungen (letztere passenderweise bei einem Goethe-Bildergedicht) vorbei? Wer verweigerte dem leidgeplagten Moderne-Verächter Traxler auch das Mitgefühl angesichts all der traurigen Gestalten unserer Gegenwart? Wobei die Vergangenheit vor seinem Spott nicht sicherer ist. Von der Schöpfung des ersten Menschen über eben die Päpste bis zu den Lieblingsautoren des Literaturkenners Traxler bekommen alle ihr Fett ab: Adam (Eva kommt besser weg), Calixtus oder Nietzsche. Und natürlich die modernen Künstler: Dalí oder Hockney, nicht hochgeschätzt vom Bilderdichter, aber hochkomisch inszeniert.

Über die letzten beiden Jahre hinweg war bei jedem Besuch, den ich Hans Traxler abstattete, die Rede von diesem Buch, einmal rief sogar während der nachmittäglichen Kaffeetafel der Herausgeber Heidelbach an. Hetzen ließ der Künstler sich aber nicht, warum auch? Als die Sache richtig losging, war er doch erst vierundneunzig. Jetzt wird er ein paar Wochen die Freude über seinen jüngsten Streich genießen, ehe es wieder ans Zeichenbrett geht. Ideen für neue Geschichten sind noch einige im Kescher, die Hand zittert nicht, und das Reimen ist fast so etwas wie Hans Traxlers natürliche Ausdrucksform. Wie heißt es bei ihm über Goethe? „Irgendwann erwischt es jeden. / Auch Goethe hatte Haltungsschäden! / Nach vielem Dehnen ... Strecken ... Richten ... / ... gings zügig weiter mit dem Dichten.“ So möge es auch im Atelier des Altmeisters Traxler gehen.

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