Design-Ausstellung in Krefeld: Kissen hat sie nie bestickt

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Als Charlotte Perriand sich im Jahr 1927 in Paris auf den Weg zu einem Vorstellungsgespräch machte, war sie eine junge Frau, die wusste, was sie wollte, und sich nicht so leicht entmutigen ließ. Mit siebzehn hatte sie ein Studium an der École de l’Union Centrale des Arts Décoratif begonnen und sollte im Lauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte rasch eine ebenso prägende wie randständige Rolle in der Geschichte des Designs und der Architektur einnehmen, doch zunächst musste sie die Arroganz und Herablassung ihres künftigen Arbeitgebers an sich abperlen lassen: „Hier besticken wir keine Kissen“, soll Le Corbusier zu ihr gesagt haben. Was der später weltberühmt gewordene Architekt nicht ahnte: Hätte Charlotte Perriand sich dafür entschieden, Kissen zu besticken, würden sehr wahrscheinlich auch diese Entwürfe heute zu den Designklassikern des 20. Jahrhunderts zählen.

Ensemble mit Entwürfen von Charlotte Perriand im Haus LangeEnsemble mit Entwürfen von Charlotte Perriand im Haus LangeKaiser Wilhelm Museum/VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Sie ist vierundzwanzig, als sie die Leitung der Abteilung für Inneneinrichtung in dem Atelier übernimmt, das Le Corbusier und sein Cousin Pierre Jeanneret 1922 gegründet hatten. Zunächst entwirft sie Stahlrohrmöbel, denen sie eine Schlüsselposition bei der Transformation der Möbelherstellung prophezeit: „Metall spielt in der Möbelkunst dieselbe Rolle wie Beton in der Architektur. Es ist eine Revolution“. Sie bezieht eine kleine Dachwohnung an der Place Saint-Sulpice, für die sie die Einrichtung selbst entwirft: zum Beispiel einen ausziehbaren Esstisch mit Beinen aus Stahlrohr oder gepolsterte Stühle mit rotem Leder – die Urform des „Fauteuil Pivotant“.

Ihre kleine Wohnung, ausgestattet mit vielen Spiegelflächen, um die Räume größer wirken lassen, wird zu ihrer Visitenkarte und zu einer Art Ausstellungsraum für ihre Entwürfe. Stahlkugeln, wie sie für industriell gefertigte Kugellager benutzt werden, fädelt sie auf einem dünnen Metalldraht hintereinander auf und trägt sie wie eine Perlenkette um den Hals. Sie ist jung, voller Ideen, eine bezaubernde Garçonne, selbstbewusst, unaufhaltsam, auf Fotos stets strahlend.

Perriands „Fauteuil pivotant“ aus dem Jahr 1927Perriands „Fauteuil pivotant“ aus dem Jahr 1927Kaiser Wilhelm Museum/VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Das Patent für die weltberühmt gewordene Liege, einem der vier Möbelklassiker, die Perriand, Le Corbusier und dessen Cousin Pierre Jeanneret gemeinsam entworfen haben, führt ihren Name wohl nicht zufällig an erster Stelle auf. Als Le Corbusier die Produktion der Möbel in der Nachkriegszeit wieder aufnahm, ließ er den Anteil von Perriand und Jeanneret kurzerhand unter den Tisch fallen: Bis heute werden sie unter den Bezeichnungen LC2 oder LC3 verkauft. Aber es hat nicht den Anschein, als ob dies Perriand sonderlich gekümmert hätte, obwohl es sich maßgeblich um ihre Entwürfe gehandelt haben dürfte. An Ruhm lag ihr nicht viel, sie wollte lieber die Welt verändern: „Es geht nicht mehr um Stil – um Stile der Vergangenheit. Wir müssen die Würde haben, uns selbst zu präsentieren. Nur Gesellschaften in Zeiten des Niedergangs hatten nichts zu sagen ... Es gilt, eine ganze Erziehung von Neuem zu beginnen“.

Le Corbusiers Egomanie hat sie nicht gestört

„Charlotte Perriand. L’art d’habiter /Die Kunst des Wohnens“ lautet der Titel der ersten großen Retrospektive in Deutschland, mit der die Kunstmuseen Krefeld Perriand als „Pionierin des modernen Lebens“ würdigen. Sie ist in enger Zusammenarbeit mit den „Archives Charlotte Perriand“ entstanden und wird von dem Möbelhersteller Cassina unterstützt, der die Entwürfe von Perriand nach wie vor baut und als Leihgeber Originale wie auch Rekonstruktionen zur Ausstellung beigesteuert hat. Charlottes Tochter, Pernette Perriand-Barsac, und ihr Ehemann Jacques Barsac sind zur Ausstellungseröffnung angereist und berichten unter anderem, dass Le Corbusiers egomane Vermarktung der gemeinsamen Entwürfe Charlotte Perriand nicht besonders gestört hat. Sie habe zehn Jahre in Le Corbusiers Atelier gearbeitet, gelernt, was es für sie dort zu lernen gab, und sei danach ihren eigenen Weg gegangen. Das gilt auch für die Politik: Denn während Le Corbusier deutliche Sympathien für Mussolini und Hitler erkennen ließ und Aufträge des Vichy-Regimes annahm, schloss sich sein Cousin der Résistance an und Perriand trat der Kommunistischen Partei bei, die sie 1939 aus Protest gegen den Hitler-Stalin-Pakt wieder verließ.

Auf gut 1200 Quadratmetern in drei Häusern sind in Krefeld mehr als fünfhundert Objekte zu sehen: Beispiele von Perriands ikonischen Stahlrohrmöbeln, angefangen mit der „Chaise longue basculante“, oder den Möbeln, die sie für zwei Ausstellungen in den Jahren 1940 und 1955 in Tokio entworfen hat, und mit denen sie eine Synthese von westlicher Moderne und japanischer Tradition anstrebte. Dokumente und Fotografien, aber vor allem Rekonstruktionen ganzer Ensembles, machen deutlich, dass es Perriand nie um einzelne Entwürfe oder um singuläre Möbelstücke ging, sondern stets um eine umfassende Ästhetik, die ganzheitlich angelegt war, die unmittelbare Umgebung mit einbezog und schon früh Aspekte wie Gesundheit oder Nachhaltigkeit berücksichtigte.

 Perriands „Mexique“ von 1953Bücherregal, Raumteiler und heute ein begehrtes Sammlerobjekt: Perriands „Mexique“ von 1953Kaiser Wilhelm Museum/VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Sie betreibt ergonomische Studien und macht sich vertraut mit den Herstellungsprozessen in der Automobil-, Flugzeug- oder Fahrradindustrie, um sie auf die Möbelproduktion zu übertragen, muss aber bald feststellen, dass die Komplexität ihrer Entwürfe und ihre hohen Qualitätsansprüche einer kostengünstigen Massenherstellung im Wege stehen. Später nutzt sie bevorzugt lokale Rohstoffe und bezieht sich auch stärker auf traditionelle Handwerkstechniken.

Früh entwickelt sie modulare Möbelsysteme, die auch als Raumtrenner dienen, begreift Küche und Bad nicht länger als separierte Funktionsräume, sondern integriert sie in ihr ästhetisches Gesamtkonzept. Für die antifaschistische Zeitschrift „Vendredi“ schreibt sie eine Kolumne mit dem Titel „Die Hausfrau und ihr Heim“ und und entwirft mit der „Cellule“ , der Wohnzelle, eine Minimalbehausung, die statt auf Verzicht auf Effizienz setzt, Lebensqualität anstrebt und dank ihrer Variabilität als Notunterkunft, Studentenwohnung oder Ferienapartment konzipiert werden kann.

Zusammen mit Le Corbusier und Jeanneret präsentierte sie 1931 auf der Internationalen Raumausstellung in Köln einen modernen Arbeitsraum aus Glas, Metall und Steinmasse, der von der Firma Thonet produziert wurde. Mehr als drei Jahrzehnte danach griff sie ihre frühen Ideen wieder auf, als sie drei der Anlagen von Les Arcs entwirft, große, dem Bergpanorama zugewandten Gebäudekomplexe mit kleinen Ferienwohnungen im Skigebiet der Tarentaise im Department Savoie. Zwanzig Jahre lang betreibt sie hier ein Büro - Les Arcs wird zu einer Art Lebensaufgabe. In Krefeld ist eine der Kücheneinheiten zu sehen, die als Polyester-Kapseln vorgefertigt wurden und so und vor Ort nur noch in die Wohnungen eingesetzt werden mussten.

Wer die Ausstellung im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum gesehen hat, sollte sich unbedingt noch auf den Weg zu Haus Esters und Haus Lange machen. In diesen beiden Villen, die Mies van der Rohe in den Zwanzigerjahren für zwei Krefelder Unternehmer gebaut hat, sind nicht nur weitere Originalmöbel zu sehen, sondern hier werden auch ihre ausgedehnten Auslandsaufenthalte und ihre Kooperationen mit Künstlern wie Fernand Léger oder Isamu Noguchi nachgezeichnet.

Charlotte Perriand hat pragmatisch gedacht und idealistisch, sie hat gewusst, wie sich Tradition und Innovation miteinander verbinden lassen, und sie hat stets den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrums ihres Denkens gestellt: „Es geht nicht um das Gebäude, sondern um den Menschen darin – wie wird er darin leben?“

Charlotte Perriand. L’art d’habiter / Die Kunst des Wohnens. Kunstmuseen Krefeld, bis 15. März 2026. Ein Katalog ist in Vorbereitung.

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