Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat in seiner frühen Nutzenbewertung dem neuen Medikament Lecanemab für an der Alzheimer-Demenz erkrankte Menschen keinen Zusatznutzen bescheinigt. Diese Bewertung ist eine maßgebliche Grundlage für die anstehenden Preisverhandlungen zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband. Bei Lecanemab handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der krankhafte Amyloid-Ablagerungen im Gehirn angreift, wie sie in Nervenzellen von Alzheimer-Erkrankten auftreten. Ziel der Behandlung ist es, den Abbau kognitiver und funktionaler Fähigkeiten zu verlangsamen und den Betroffenen mehr Zeit für ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen.
Das IQWiG begründet seine Entscheidung damit (PDF), dass in den für den deutschen Versorgungsalltag relevanten Patientengruppen kein statistisch signifikanter Vorteil von Lecanemab gegenüber der Standardtherapie nachgewiesen werden konnte. Dafür analysierte das Institut die Daten der Zulassungsstudie „Clarity AD“ in zwei spezifischen Untergruppen: Patienten mit einer leichten kognitiven Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI) und Patienten mit einer leichten Alzheimer-Demenz. Laut Dr. Daniela Preukschat vom IQWiG zeigten sich in diesen für die Bewertung entscheidenden Gruppen keine signifikanten Unterschiede, weshalb das Urteil „Zusatznutzen nicht belegt“ lautet.
In der MCI-Teilgruppe wurden Lecanemab-Patienten lediglich einer Beobachtung ohne Wirkstoff gegenübergestellt, wohingegen das Mittel bei leichter Alzheimer-Demenz gegen eine Behandlung mit herkömmlichen symptomatischen Medikamenten (Acetylcholinesterase-Hemmern) getestet wurde. Durch dieses Vorgehen wurden in die IQWiG-Analyse insgesamt deutlich weniger Patienten einbezogen als in die vollständige Zulassungsstudie, die weitere Patientengruppen umfasste.
Daten aus den USA berücksichtigte das IQWiG nicht, da diese aus der klinischen Anwendung nach der dortigen Zulassung stammen und somit keine randomisierten, vergleichenden Studiendaten darstellen, wie sie das deutsche Nutzenbewertungsverfahren fordert. Real-World-Daten seien zwar grundsätzlich von Interesse, erfüllten aber nicht die methodischen Anforderungen der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V, betonte Preukschat; zugleich habe sich das IQWiG nur auf die Studienteilnehmer konzentriert, die nach deutschem Therapiestandard behandelt wurden. Die in der Gesamtpopulation beobachteten positiven Effekte von Lecanemab seien hingegen vorwiegend bei den Patienten aufgetreten, die nicht nach diesem Standard therapiert worden waren, erklärte sie.
Führende Neurologen äußerten umgehend scharfe Kritik an der Methodik des IQWiG. Prof. Dr. Jörg Schulz von der Uniklinik RWTH Aachen und Prof. Dr. Lutz Fröhlich vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim bemängelten, dass das IQWiG mit einem von der Zulassungsstudie abweichenden statistischen Verfahren gearbeitet habe. Die Analyse von kleinen, nachträglich gebildeten Untergruppen sei statistisch nicht aussagekräftig. Zudem kritisierten sie die vom IQWiG herangezogenen Bewertungskriterien, wie eine pauschale 15-Prozent-Verschlechterungsschwelle, als ungeeignet für den schleichenden Verlauf der Alzheimer-Krankheit.
Nächste Schritte
Die Experten warnten eindringlich vor den Konsequenzen der negativen Bewertung. Sollte es infolgedessen zu keiner Einigung bei den Preisverhandlungen kommen, könnte der Hersteller das Medikament vom deutschen Markt nehmen. Dies würde, so Prof. Schulz, zu einer „Zweiklassenmedizin“ führen, bei der sich nur noch Selbstzahler die Therapie leisten könnten.
Der Prozess ist damit noch nicht abgeschlossen. Im nächsten Schritt können der Hersteller und die Fachgesellschaften im Rahmen eines Stellungnahmeverfahrens auf die Bewertung reagieren, bevor der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Mitte Februar 2026 einen endgültigen Beschluss über den Zusatznutzen fasst.
In den USA ist Lecanemab von der FDA regulär zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit zugelassen, also bei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) oder leichter Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit, wenn eine erhöhte Beta-Amyloid-Konzentration im Gehirn nachgewiesen ist.
(mack)










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