Korrespondentin von der Tann bei einer Liveschalte aus dem israelischen Sderot an der Grenze zum Gazastreifen
Foto:Buza Eli Tzoran / BR
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Auf einmal ist sie Gegenstand eines Eklats, ja Grund für eine angekündigte Mahnwache vor dem Kölner Funkhaus: Sophie von der Tann. Die 34-jährige ARD-Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete und vor allem: eine von zwei Ausgezeichneten des diesjährigen Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für herausragende Leistungen im Fernsehjournalismus.
Prämiert für ihre Beiträge über den 7. Oktober, Israels Krieg in Gaza, die innenpolitischen Klüfte im Land. Ausgezeichnet auch von mir als Jurymitglied, der den Preis selbst vor drei Jahren für Beiträge aus der Ukraine bekam – damals ohne Kontroverse. Denn auf Beschwerden aus Russland hätte kaum jemand reagiert.
Christoph Reuter, Jahrgang 1968, ist Reporter im Ressort Ausland des SPIEGEL. Er berichtet seit Jahrzehnten aus den Krisenregionen der islamischen Welt – seit 2011 vor allem aus und über Syrien. Er ist studierter Islamwissenschaftler und spricht fließend Arabisch. Neben zahlreichen preisgekrönten Reportagen veröffentlichte er 2015 das Buch »Die schwarze Macht« über das Innenleben des »Islamischen Staates«. Zuvor erschienen: »Mein Leben ist eine Waffe« (2002) über Selbstmordattentäter und, gemeinsam mit Susanne Fischer, »Café Bagdad« (2004) über den Alltag im umkämpften Irak.
Wir als Jury haben Sophie von der Tann ausgezeichnet, weil sie ihre Arbeit unter schwierigen Bedingungen auf eine klare und unerschrockene Weise macht. Den Preis erhält sie am Donnerstag zusammen mit ihrer ARD-Kollegin Katharina Willinger, die über die Türkei und Iran berichtet und ebenfalls hervorragende Arbeit in einem komplizierten Berichtsgebiet leistet.
Und doch ist es Sophie von der Tann, die nun zum Ziel maßloser Angriffe geworden ist: eine einzelne Journalistin, eine junge Frau, die einen der prominentesten Sendeplätze im deutschen Journalismus innehat. Und die mit ihrer fundierten Berichterstattung sowohl den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober ausleuchtet, als auch über die Kriegsverbrechen israelischer Soldaten im zwei Jahre währenden Krieg berichtet.
Ihre Ehrung sei »nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig«, befand die »Jüdische Allgemeine«. Von der Tann sei »das Gesicht vom neu-deutschen Juden- und Israelhass«, schrieb der deutsch-israelische Reserve-Armeesprecher Arye Shalicar. Zuvor hatte Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, ihr schon geraten, »wenn sie lieber Aktivistin wäre, sollte sie den Job wechseln«. Normalerweise greifen staatliche Vertreter von Demokratien in diesem Ton keine Journalisten an – das ist eine Praxis, die aus autoritären Staaten bekannt ist.
Botschafter Prosor
Foto: Jens Kalaene / dpa / picture allianceAberwitzig, Aktivistin, das Gesicht des Judenhasses?
Wutschäumend könnte man den Tenor der Attacken nennen. Aber wie das so ist mit Schaum: Er besteht mehr oder weniger aus Luft. Ihre »begründeten Zweifel« an von der Tanns Sorgfalt, Neutralität und anderen Maximen der öffentlich-rechtlichen Sender begründen die zwölf Initiativen, die zur Mahnwache aufrufen, nicht mit echten Belegen. Welche handwerklichen Fehler, gar welche politisch-moralischen Vergehen von der Tann begangen haben soll, erklären auch Shalicar und Botschafter Prosor nicht.
Das Wort eines israelischen Botschafters in Deutschland hat Gewicht. Es zur bloßen Diffamierung einzelner Journalisten einzusetzen, ist beschämend.
Es genügt offensichtlich, nicht gänzlich die Perspektive und vielfach unzutreffenden PR-Statements des israelischen Militärs, der Regierung von Benjamin Netanyahu, übernehmen zu wollen, sondern journalistisches Handwerk zu betreiben, um angepöbelt zu werden. Ja, um in Gefahr zu geraten, verächtlich gemacht zu werden.
Das Wort eines israelischen Botschafters in Deutschland hat Gewicht. Es zur bloßen Diffamierung einzelner Journalisten einzusetzen, ist beschämend – hat aber Methode: Sophie von der Tann steht in einer ganzen Reihe deutscher Journalisten, auch vom SPIEGEL, die in ähnlicher Tonlage vom Botschafter und vom Reserve-Armeesprecher attackiert wurden: Prosor teilt regelmäßig namentlich gegen Journalisten aus, die man »bloss nicht mit Fakten« verwirren solle oder die eine »Israel-Obsession« hätten. »Hässliche Menschen« seien das, schrieb Shalicar: ein »widerlicher antisemitischer Sumpf«, »krank« sei der »Journalist des Stürmer, sorry Spiegel« nach der schlichten Einordnung, dass Israels Angriff auf Iran im Juni 2025 völkerrechtswidrig war.
Im Fall von Sophie von der Tann stehen nun aber konkrete Forderungen im Raum: Sie soll ihre Auszeichnung nicht erhalten, sie soll am besten ganz von den Bildschirmen verschwinden, in jedem Fall soll sie beschädigt werden.
Von Hamas-Terroristen attackiertes Haus im Kibbuz Kfar Aza nach dem Massaker des 7. Oktober 2023
Foto: Ohad Zwigenberg / AP / dpaDer Eklat um Sophie von der Tann hatte Tage vor der Preisverleihung mit einem Bericht in der »Welt« begonnen: Drei Wochen zuvor habe sie, so behauptete der Text mit Bezug auf anonyme Quellen, in einem Hintergrundgespräch mit dem bayerischen Antisemitismusbeauftragten Ludwig Spaenle bei dessen Israelreise gesagt, der Angriff der Hamas habe »eine Vorgeschichte« gehabt. Als »Relativierung des Massakers« hätten Gesprächsteilnehmer dies empfunden.
Abgesehen davon, dass sich andere Gesprächsteilnehmer weder in dieser Form an das angeblich Gesagte erinnerten, noch an einen Eklat, und dass sich Spaenle laut deren Erinnerung anschließend für den »offenen und auch kontroversen Dialog«, sowie »die freundliche Aufnahme« bedankt haben soll – selbst wenn Sophie von der Tann festgestellt hätte, dass dieses Massaker eine Vorgeschichte hatte: Was sollte es sonst haben? Und was daran wäre verurteilungswürdig? Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, und zuvor Juden und Arabern, geht bekanntlich viele Jahrzehnte zurück.
All das rechtfertigt nicht das erbarmungslose Massaker an Zivilisten, das die Terroristen am 7. Oktober begingen. Oder die Verschleppung von rund 250 Menschen, darunter Frauen, Kinder und Babys. Glattweg verbieten zu wollen, dass über eine Vorgeschichte überhaupt geredet wird – das aber wäre ein inakzeptabler Angriff auf die Meinungsfreiheit.
Von der Tann wird angegriffen wegen Haltungen, die man ihr unterstellt – nicht für solche, die sie tatsächlich geäußert hat.
»Nassforsch und kalt wie Hundeschnauze« habe von der Tann in einem Kommentar zum 60. Jahrestag der deutsch-israelischen Beziehungen »den Nachkommen der Schoa-Opfer die Leviten gelesen«, schrieb die »Jüdische Allgemeine« im Mai 2025. Auch hier war Projektion am Werk, der Text ist ein Beleg dafür, wie in dieser Kampagne mit Unterstellungen gearbeitet wird. Das vermeintliche Vergehen der Korrespondentin: Sie hatte in einem als Kommentar gekennzeichneten Meinungsbeitrag die immer breiter werdende Kluft zwischen zwei Kernelementen deutschen Selbstverständnisses nüchtern benannt: die Verantwortung für Israel sowie das Einstehen für das humanitäre Völkerrecht.
Israel hatte zu diesem Zeitpunkt den Krieg im Gazastreifen trotz eindringlicher Mahnungen von Regierungen weltweit brutal fortgesetzt und bereits seit Monaten alle Hilfslieferungen blockiert.
»Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel beruht auf einer historischen Verantwortung von uns Deutschen«, begann von der Tanns kurzer Kommentar in den ARD-»Tagesthemen«. Deutschland habe aus der Erfahrung des Holocaust zudem die Lehre gezogen, die Uno und internationale Rechtsprechung, Gerichtsbarkeit zu stärken, um alles dafür zu tun, dass sich solch monströse Verbrechen wie unter dem NS-Regime nicht wiederholen. Wenn aber »Bundeskanzler Friedrich Merz Premier Netanyahu trotz internationalen Haftbefehls nach Deutschland einlädt«, dann mache die Bundesregierung »sich mitschuldig am Zerfall dieser Rechtsordnung«.
Zerstörtes Gaza nach dem Krieg am 5. November 2025
Foto: Ohad Zwigenberg / APDas Bekenntnis zur Sicherheit Israels sei »besonders nach dem Terror des 7. Oktober richtig« gewesen, aber könne keine »nahezu bedingungslose Unterstützung einer teils rechtsextremen Regierung bedeuten, die öffentlich einen Plan zur Vertreibung der Palästinenser in Gaza vorlegt, gegen deren Kriegsführung Völkermordvorwürfe im Raum stehen«, so von der Tann. Und: »Wenn sich die Bundesregierung ihrer historischen Verantwortung verpflichtet fühlt, muss sie sich in allen Konflikten für die Stärkung des Rechts einsetzen, nicht dem Recht des Stärkeren stattgeben.«
Das ist keine extreme Position, sondern ein maßvoller Meinungsbeitrag zu einer Debatte, die zu diesem Zeitpunkt schon längst geführt wurde – von anderen Journalisten, von Politikern. Dafür nun zum »Gesicht des neu-deutschen Judenhasses« erklärt zu werden, ist eine groteske Verdrehung der Realität.
Sonstige stichhaltige Vorwürfe? Fehlanzeige. Dass von der Tann einmal einen Meinungsbeitrag des israelischen Genozidforschers Omer Bartov aus der »New York Times« auf Instagram geteilt hat, disqualifiziert sie selbstverständlich nicht als Berichterstatterin. Und das macht sie auch nicht zur »Aktivistin«, wie Prosor danach in einer seiner vielen Onlineanklagen beschied.
Sophie von der Tann ist eine Berichterstatterin, keine Meinungskriegerin – ganz im Gegensatz zu jenen, die sie nun dämonisieren.
In der Summe gilt: Von der Tann wird angegriffen wegen Haltungen, die man ihr unterstellt – nicht für solche, die sie tatsächlich geäußert hat. Sie soll gecancelt werden.
Sophie von der Tann ist eine analytische, überlegte Stimme, die informiert, einordnet, in verständlicher und klarer Sprache berichtet. Sie macht gelegentlich ihre Meinung deutlich, aber sie bleibt eine sachliche Berichterstatterin, keine Meinungskriegerin – ganz im Gegensatz zu jenen, die sie nun dämonisieren und attackieren. Und die Argumente und Fakten durch Empörung ersetzen.
Trophäen für den Hanns-Joachim-Friedrichs Preis
Foto: Christoph Hardt / Future Image / IMAGOMan könnte sagen, all das müsse eine profilierte ARD-Korrespondentin aushalten, sei auch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es handelt sich aber um den Versuch, eine der profiliertesten Nahostkorrespondentinnen mundtot zu machen.
Die koordiniert wirkende Kampagne gegen von der Tann, maßgeblich befeuert von Vertretern des israelischen Staates und proisraelischen deutschen Aktivisten, sollte deshalb all jenen Sorgen machen, denen die Presse- und Meinungsfreiheit am Herzen liegt, ganz unabhängig von ihrer eigenen Meinung. Denn es geht, über die Person hinaus, darum, Berichterstattung systematisch einzuschränken.
Was wir brauchen, ist jedoch das Gegenteil: mehr Einordnung, mehr Analyse, mehr Berichte von vor Ort, mehr Wissen, mehr Recherche, mehr Raum für unterschiedliche Haltungen und Positionen. Auch, um die Glaubwürdigkeit des Journalismus zu bewahren.
Deswegen ist die Debatte so wichtig. Und deswegen ist die Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an Sophie von der Tann richtig.

vor 2 Tage
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