Auf dem Boden in der Küche liegen Scherben. Einige sind winzig und unscheinbar, andere lang und scharf. Die Glasstücke stammen eindeutig von der Terrassentür, deren Scheibe ein großes Loch aufweist. Jemand scheint sie von außen eingeschlagen zu haben, um von innen an den Türgriff zu gelangen.
Zwischen den Scherben steht Tanja Haunschild, 31. Sie trägt blaue Gummihandschuhe, eine Maske und eine Jacke, auf deren Rückseite das Wort »Kriminaltechnik« aufgedruckt ist. Die 31-Jährige sieht sich am Tatort um. »Soweit ich das beurteilen kann, war das kein erfahrener Einbrecher«, sagt sie. »Dafür ist das Loch in der Scheibe zu groß. So etwas macht viel zu viel Lärm.«
Foto: Maria Feck / DEIN SPIEGEL
Tanja arbeitet bei der Spurensicherung in Hamburg. Ihre Aufgabe ist es, Spuren an Tatorten zu finden, sicherzustellen und zu dokumentieren. Das können Fingerabdrücke sein, Haare, Textilfasern oder zurückgelassene Gegenstände. Mithilfe solcher Spuren sollen Täter überführt werden. »Und später dienen sie auch als Beweismittel vor Gericht«, sagt Tanja.
Insgesamt sind bei der Hamburger SpuSi – so nennen Polizeibeamte die Spurensicherung – 24 Personen angestellt. Sie teilen sich die Tatorte in der Stadt auf. Ihr Arbeitstag beginnt im Polizeipräsidium, wo sich die Fahrzeuge sowie die Büro- und Lagerräume der SpuSi befinden. »Jede Schicht startet mit einer Einsatzbesprechung«, sagt Tanja. »Dort klären wir, wer was übernimmt.«
An ihrem ersten Tatort ist Tanja heute Morgen um 8.51 Uhr mit dem Auto vorgefahren. Auf einem Zettel, den sie sich bei der Einsatzleitung abgeholt hat, steht, worum es geht: unbekannte Täter, Einbruch in ein Haus, Einstiegspunkt über Terrassentür mit Glasscheibe.
Nun steht Tanja in der Küche mit den Scherben. Sie beugt sich über einen geöffneten Koffer, den sie bei jedem Einsatz dabeihat. Darin liegt ihr Equipment, etwa eine Taschenlampe, ein Pinsel, Beutel für Beweismittel und eine Pinzette.
Tanja greift sich eine kleine Sprühflasche sowie ein Wattestäbchen. »Die Scheibe wurde vermutlich mit einem Schraubendreher zerstört«, erklärt sie. »Falls der Täter den in seinem Ärmel getragen hat, könnte seine DNA daran sein. Und beim Einbruch könnte er diese wiederum am Glas hinterlassen haben.«
Die einen mögen »Tatort«, die anderen »Drei Fragezeichen« oder Sherlock Holmes – fiktive Kriminalgeschichten sind bei jungen und älteren Menschen beliebt. Doch wie läuft die Jagd nach Verbrechern in Wirklichkeit ab? In der neuen Ausgabe von DEIN SPIEGEL, dem Nachrichtenmagazin für Kinder, geht es um die Arbeit von Kriminalkommissaren, Spurensicherinnen und Super Recognizern. Außerdem im Heft: Handball-Nationalspielerin Alina Grijseels spricht über die anstehende Weltmeisterschaft. DEIN SPIEGEL gibt es am Kiosk, ausgewählte Artikel online. Erwachsene können das Heft auch hier kaufen:
Damit etwas von der DNA an dem Tupfer hängen bleiben kann, befeuchtet Tanja ihn mit der Sprühflasche. »Da ist demineralisiertes Wasser drin. Im Gegensatz zu normalem Wasser enthält es keine Stoffe, die die Probe verfälschen könnten.« Tanja streicht mit dem Tupfer am zerbrochenen Glas entlang und steckt ihn anschließend in ein Transport-Röhrchen. Das wiederum legt sie in einen Beutel, den sie versiegelt und beschriftet. Auch ein Stück Glas tütet sie auf diese Weise ein. »Zum Abgleichen, falls der Täter gestellt wird und in seiner Kleidung Splitter hängen«, erklärt Tanja, während sie die Beutel in ihrem Koffer verstaut. »Das geht später alles ins Labor.«
Wie die SpuSi gehört das Labor zur Kriminaltechnik. Die Mitarbeitenden dort kümmern sich um die Auswertung der Spuren, die Tanja und ihre Kolleginnen und Kollegen an den Tatorten sicherstellen. Sie untersuchen etwa Blut und Speichel oder analysieren chemische Substanzen. Andere Mitarbeitende der Kriminaltechnik sind zum Beispiel dafür zuständig, 3D-Scans von Tatorten anzufertigen oder Personen anhand gefundener Spuren zu identifizieren. Um Täter zu finden, arbeiten alle Bereiche der Abteilung eng zusammen.
Damit keine fremden DNA-Spuren im Labor landen, dürfen es nur Mitarbeitende der Spurensicherung betreten.
Foto: Maria Feck / DEIN SPIEGELTanja hat die Küche inzwischen verlassen und steht im ersten Stock des Hauses. Auch hier waren die Täter zugange: Sie durchwühlten in mehreren Räumen Regale, kramten in Behältern und kippten den Inhalt von Schubladen aus. In den Zimmern sieht es chaotisch aus. Der Einbruch ereignete sich am Vortag. Die Familie erzählt, dass sie alles so liegen gelassen hat. »Das ist gut so«, sagt Tanja. »Manche Leute räumen auf oder putzen sogar, bevor wir da waren. Dadurch werden wichtige Spuren zerstört.«
Tanja schaut sich in einem der Räume eine Parfümflasche und eine Powerbank an. Die Täter könnten diese Gegenstände in der Hand gehabt haben. Doch Tanja kann darauf nichts Verdächtiges finden.
Der Einbruch spielte sich am helllichten Tag ab. Die Familie, die hier lebt, war währenddessen nicht da. »Das ist häufig so«, sagt Tanja. »Weil die Täter unentdeckt bleiben wollen, stellen sie in den meisten Fällen vorab sicher, dass niemand zu Hause ist.« Zum Beispiel, indem sie an der Haustür klingeln. »Wenn niemand öffnet, legen sie los.«
Für die Menschen, in deren Zuhause eingebrochen wurde, ist das oft schlimm. »Nicht nur, weil Geld oder wertvolle Gegenstände gestohlen wurden. Es ist auch kein schönes Gefühl, zu wissen, dass jemand bei einem zu Hause war und alles durchwühlt hat«, sagt Tanja. Viele Geschädigte, denen sie an Tatorten begegnet, seien deswegen durcheinander. »Manche wollen getröstet, andere in Ruhe gelassen werden. Wir müssen gut mit Menschen umgehen können.«
Tanja klappt den Koffer mit ihrem Equipment zu. In diesem Haus ist sie fertig. Ihr heutiger Arbeitstag wird sie noch zu zwei weiteren Einbruchstatorten führen. Im Schnitt verbringt die SpuSi 30 bis 60 Minuten an einem Tatort. Bei schweren Straftaten wie Körperverletzung oder Mord braucht sie mehr Zeit, dann ist Tanja mehrere Stunden da oder sogar einen ganzen Tag.
Ob die von ihr gefundenen Spuren am Ende einen Täter überführen, erfährt Tanja in der Regel nicht. Nur bei besonderen Fällen wird die SpuSi darüber informiert. »Ich hatte mal einen Tatort, an dem es so gut wie gar keine Spuren gab«, erzählt Tanja. »Doch dann fand ich auf der Klinge eines Messers, das vor einem Tresor lag, einen kleinen Teil eines Schuhabdrucks. Später kam die Analyse zu mir und sagte: ›Wir haben einen Treffer.‹ Das war ein tolles Gefühl.«
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