Auf seiner diesjährigen Hausmesse AWS re:Invent in Las Vegas packt Amazon Web Services eines der hartnäckigsten Probleme der Unternehmens-IT an: technische Schulden – die unweigerlich beim Alterungsprozess von IT-Infrastruktur und Softwaretechnik zutage treten, wenn neuere Techniken ältere ersetzen. Und das setzte Amazon effektvoll in Szene: Auf der voll ausgebuchten Hausmesse, die AWS bei 60.000 Besuchern abriegelte, kamen Community-Influencer aus dem AWS-Hero-Programm sowie ausgewählte Analysten und Journalisten auf einem Gelände unweit des Konferenzortes zusammen. Dort ließen sie einen mit Tech Debt beschrifteten Container von einem Kran auf Pakete mit Sprengstoff fallen.
Während generative KI bisher vornehmlich als Beschleuniger für die Erstellung neuer Software gefeiert wurde, verschiebt AWS den Fokus nun auf die Sanierung und Modernisierung alter Codebasen. AWS baut die Fähigkeiten seiner Q-Agentenfamilie unter dem neuen, AWS Transform getauften Service massiv aus. Die neuen Funktionen sind unter dem Dach dieses Dienstes gebündelt, nutzen im Hintergrund jedoch die agentische Technik, die AWS im vergangenen Jahr noch unter dem Markennamen Amazon Q Developer vertrieben hat, um tief in die proprietäre Logik von Unternehmen einzugreifen.
Maßgeschneidertes Refactoring per natürlicher Sprache
Die wohl bedeutendste Neuerung ist die Einführung von AWS Transform Custom. Bisherige KI-Tools stießen schnell an ihre Grenzen, wenn es um die Aktualisierung interner, nicht-öffentlicher Softwarekomponenten ging. Während eine KI problemlos den Pfad von Java 8 auf Java 17 kennt, fehlte ihr bislang das Wissen, um etwa eine firmeneigene Authentifizierungs-Bibliothek durch deren Nachfolger zu ersetzen. Genau diese Lücke schließt AWS nun, indem Entwickler dem Agenten in natürlicher Sprache auf das Projekt zugeschnittene Modernisierungsregeln beibringen können.
Anstatt komplexe reguläre Ausdrücke zu schreiben oder Migrations-Skripte zu basteln, genügt nun eine Beschreibung der gewünschten Änderungen, beispielsweise wie eine veraltete interne API durch einen neuen Standard ersetzt werden soll. Der KI-Agent analysiert daraufhin die gesamte Codebasis einer Organisation, identifiziert alle betroffenen Stellen und erstellt eigenständig einen Migrationsplan. Der Prozess läuft dabei weitgehend autonom ab, da der Agent die notwendigen Änderungen über hunderte oder tausende von Repositories hinweg durchführt und die Ergebnisse als fertige Pull Requests einreicht. Die Rolle der menschlichen Entwickler verschiebt sich dabei von der manuellen Fleißarbeit des Suchen-und-Ersetzens hin zur Überprüfung der vorgeschlagenen Änderungen, was eine drastische Reduktion des Aufwands bei großangelegten Refactoring-Projekten verspricht.
Vom Jobol zu echtem Java: Mainframe-Modernisierung 2.0
Auch für den klassischen Mainframe-Bereich hat AWS seine Modernisierungs-Werkzeuge unter der Transform-Marke grundlegend überarbeitet. Ein häufiger Kritikpunkt an bisherigen automatisierten Migrationen von COBOL oder PL/I nach Java war die Qualität des erzeugten Codes. Oft entstand dabei sogenanntes Jobol – Java-Code, der syntaktisch zwar korrekt ist, aber in Struktur und Logik noch immer wie COBOL aussieht und dementsprechend schwer zu warten ist. Die neuen Reimagine-Funktionen setzen hier mit einem intelligenteren Ansatz an, bei dem die KI nicht mehr Zeile für Zeile übersetzt, sondern die zugrundeliegende Geschäftslogik und die Intention des ursprünglichen Programms analysiert.
Auf dieser Basis generiert das Tool neuen, idiomatischen Java-Code, der modernen Architekturmustern und einem domänengetriebenen Design (Domain-Driven Design) folgt. Das Ziel ist eine Codebasis, die sich für Java-Entwickler natürlich anfühlt und nicht mehr die Altlasten der prozeduralen Mainframe-Logik mitschleppt. Um das Risiko solcher tiefgreifenden Transformationen zu minimieren, führt AWS zudem eine automatisierte Testgenerierung ein. Die neuen Werkzeuge sind in der Lage, das funktionale Verhalten der Mainframe-Anwendungen aufzuzeichnen und daraus automatisch Testfälle abzuleiten, die den neu generierten Java-Code validieren und die Funktionsgleichheit sicherstellen.
Mit diesen Ankündigungen unterstreicht AWS seine Strategie, generative KI von einem reinen Assistenzsystem zu einem proaktiven Werkzeug für das Management des gesamten Software-Lebenszyklus weiterzuentwickeln. Insbesondere die Fähigkeit, proprietäre Regeln zu verstehen und anzuwenden, dürfte für Großunternehmen ein entscheidender Faktor sein, um die Modernisierung ihrer gewachsenen IT-Landschaften zu beschleunigen.
Johannes Koch – Principal Engineer Technical Architecture bei FICO, Mitgründer des AWS Community DACH Fördervereins und als Teil der Hero Community vor Ort in Vegas – betonte im Gespräch mit iX: „Ich kann mir gut vorstellen, dass AWS in der Zukunft unter der Marke AWS Transform auch allgemeinere Transformationen, zum Beispiel im Bereich der Architektur einer Anwendung oder von einer zu einer anderen Programmiersprache unterbringt. Damit würde der Dienst zu einem Allzweckwerkzeug werden, um die Wartung beziehungsweise Weiterentwicklung sogenannter Legacy-Systeme zu vereinfachen.“
Die Preisgestaltung von AWS Transform hängt von der Nutzung ab – einige Nutzungsszenarien wie der Mainframe Transformation Agent sind kostenfrei, benutzerdefinierte Transformationen mit dem AWS Transform Custom rechnet Amazon nach Agenten-Minuten ab. Genaue Informationen zum Pricing sind bei Amazon zu finden.
(fo)










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